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Rodney Saint-Éloi

Ich wohne auf der Autobahn der Träume. Ausgewählte Gedichte/J’habite l’autoroute des songes. Poèmes choisis

„Es heißt oft, für Lyrik gebe es keine Leser mehr. Das glaube ich nicht. [...] Rodney Saint-Éloi hat alle Qualitäten, die notwendig sind, um uns mit diesem Literaturgenre zu versöhnen: Emotion und Tiefe der Meditation.“ Alain Mabanckou

Inhalt

Rodney Saint-Éloi sucht in seinen Gedichten den Dialog mit allen Lebewesen dieser Welt; seine Themen sind Exil, Herkunft und Identität. Er beschreibt die Irrfahrten der „Tochter des verbrannten Baobab“, führt mit seinem Freund Jacques Roche, einem 2005 in Port-au-Prince entführten und ermordeten Journalisten, einen ergreifenden Dialog und setzt seiner Großmutter Tida ein Denkmal. Durch diese zweisprachige Ausgabe. aus dem Französischen übertragen von Margrit Klingler-Clavijo, wird das Werk eines der bedeutendsten Gegenwartslyriker Haitis und Kanadas erstmals dem deutschsprachigen Publikum erschlossen.

 

Autorenportrait

Rodney Saint-Éloi, geboren 1963 in Cavaillon, Haiti, lebt seit 2001 als Dichter, Essayist und Verleger in Montreal. Der von ihm gegründete Verlag Mémoire d’Encrier hat sich zur Aufgabe gemacht, die literarische Vielfalt der Welt aufzuzeichnen. Rodney Saint-Éloi wurde 2021 mit dem Literaturpreis Charles Biddle ausgezeichnet, 2015 in die kanadische Literaturakademie aufgenommen und 2019 zum Ritter der Künste und Literatur von Québec ernannt.

Leseprobe

ICH BIN DIE TOCHTER DES VERBRANNTEN BAOBAB

PROLOG

Ich bin die Tochter des verbrannten Baobab. Dies ist kein Gedicht. Der Baum sucht sein Gedicht. Ich bin Tochter, Baum und Weg in einem. Ich begleite die, die der Nacht ihre Fabel und ihren Schoß darbietet. Ich würde gern bis ans Ende gehen, ohne den Weg zu kennen. Ich stolpere, rutsche aus und rede wirres Zeug. Was soll’s Ein Vogel schlägt die Trommel in meinem Kopf, eine Hexe redet durch meinen Mund, oder Liebeskummer quält mich. Als Sturm heiße ich Wirbelwind. Ich durchkämme die Schatten. Ich bin verabredet mit dem ersten Stern, der fällt. Mein Schoß gebärt Geschichten, die endlos von vorn anfangen. Es gibt immer ein Leben zu leben oder neu zu leben. Man weiß nichts über das, was zehrt oder antreibt. Ich besiegle meinem Pakt mit dem Exil und dem Wahnsinn.

Ich bin die Tochter des verbrannten Baobab. Um mein Gesicht wiederzuerlangen, muss ich meine Geheimnisse den Winden anvertrauen. Ich kenne weder den Appetit noch das Gefängnis von dem, was man leben nennt. Lasst mich im Innern der Träume gehen. Ich weine, um mir ins Gedächtnis zu rufen, dass ich existiere und dass ich liebe. Ich lache zu laut, rede bis zur Erschöpfung, berühre die Horizonte mit der Geduld der Hirtin und der Angst der Matrosen.  Ich bin schön, feurig und unverschämt. Ich habe die Sonne in der einen und die Erde in der anderen Hand. Das ist meine Art, der Ewigkeit aufzulauern. Ich habe Brüste, die über den Tod lachen. Ich bin die Tochter des verbrannten Baobab. Ich suche das Wort der Morgenröte. Ich heule. Ich schweife ab. Ich swinge. Hört diese vielfältige Stimme nicht. Es ist meine Seele, die zerbricht. Das Gedicht oder das, was von meiner Identität übrig ist, bleibt eine verhinderte Wahrheit. Verbraucht. Ich bin die Tochter des verbrannten Baobab.

Rodney Saint-Éloi

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